Berlin Calling - Pressekritiken

Theater Trier


5vier.de, 19.04.2013

Buntes: “Berlin Calling” – Das erste Mal ist noch für lau

von Stefanie Braun

Am Mittwoch, 17. April, hatte das Stück “Berlin Calling” Premiere im Studio des Theaters Trier. Die sollte zwar eigentlich im frisch, aber eben noch nicht fertig renovierten ehemaligen Forum stattfinden, dennoch war der Abend ein voller Erfolg.

Der erfolgreiche DJ Ickarus, mit bürgerlichem Namen Martin Karow, hat gerade ziemlich viel zu tun. Nächtelang tourt er durch die Clubs der Welt, heute in Frankreich, morgen in Russland. Nebenbei wartet sein zweites Album auf Fertigstellung, immerhin soll es ja “voll rocken” und zudem die Kasse von ihm und seiner Lebensgefährtin füllen. Da braucht Ickarus, alias Matthias Stockinger, etwas um sich “fit” zu halten. Doch die Tabletten, die er dafür nimmt, sind keine Vitamintabletten, und das Pulver, welches er sich durch die Nase zieht, ist kein Backpulver.

Versorgt wird er von Kumpel Klaus, gespielt von Tim Olrik Stöneberg, was seine Freundin Mathilde, eine starke Alina Wolff, generell nicht verneint. Nimmt sie ja doch ab und an gerne selbst mal was. Nur das harte Zeug, das muss nicht sein. Doch schon zu spät: Ickarus hat sich zusammen mit Groupie Jenny auf dem Klo eine Line und eine Tablette zuviel eingeschmissen. Das Resultat: Eine im Wahn durchzechte Nacht, eine Psychose und ein Aufwachen in einer psychiatrischen Klinik. Das Bleiben ist freiwillig, wie Prof. Dr. Petra Paul immer wieder betont, allerdings ist eine Wiederaufnahme erst nach zehn Tagen möglich. Ickarus bleibt erst mal, alles, was er braucht, sind eh sein Computer und sein Controller, “so’n kleines Ding mit Knöpfchen dran, zum Musikmachen”. Beides lässt er sich von seiner Freundin bringen. Das Album muss ja schließlich fertig werden. Und es muss rocken.

Melancholische Botschaft…

Doch schon bald wird es Ickarus zu verrückt mit seinen drogengeschädigten Mitinsassen, allen voran Crystal Pete, gespielt von Daniel Kröhnert. Er will mal wieder raus, Party machen, doch setzt sein Körper ihm klare Grenzen. Frau Prof.Dr. kann es nicht besser ausdrücken: “Jede Pille kann die Letzte sein.” Schließlich treibt der DJ es zu bunt, Frau Prof.Dr. hat ihn satt, er soll seine sieben Sachen packen und gehen. Doch das natürlich nicht, ohne noch eine ordentliche Abschiedsparty geschmissen zu haben, denkt sich zumindest Ickarus. Schnell sind der Pfleger Alex und Crystal Pete eingeladen und alles besorgt, was man für eine richtige Party braucht: Alkohol, Prostituierte und selbstverständlich Drogen. Zuviel des Guten. Ickarus landet wieder in der Klinik, bleibt diesmal brav, macht die Therapien, bastelt an neuen, besseren Tracks, wird entlassen. Mit einem warmen Händedruck von der zufriedenen Prof. Dr. und mindestens genauso vielen Tabletten, wie er sonst genommen hat. “Nicht eigenmächtig absetzen, die Dosis wird schrittweise verringert”, warnt die Ärztin noch mal, dann entlässt sie ihren Patienten zurück ins Nachtleben, wo Ickarus bald der alte Stress einholt.

Drogen, Partys, Entziehungskliniken, wer hier nun den erhobenen Zeigefinger in Richtung partygeiler Teenies erwartet und sich als vernünftiger Erwachsener in so einer Produktion fehl am Platze fühlen würde, der irrt. Die Moral von der Geschicht’ ist hier nicht: “Drogen sind verlogen”, sondern eine viel alltäglichere, erschreckend nahe. Wie gehen wir mit Stress um? Wie können wir übertriebenen, ja lebensgefährlichen Ehrgeiz in Schach halten? Wer sich seinen eigenen Terminkalender anschaut, findet seine persönlichen Drogen: Erfolg, Bestätigung, Anerkennung.

Nach nichts anderem sucht DJ Ickarus; der Weg dazu führt über seine Musik, die zahllosen nächtlichen Auftritte, die niemals endende Party. Immer mehr leisten, bloß nichts absagen, das schafft er schon. Bei einem harten Programm helfen irgendwann nur noch harte Sachen. Freundin Mathilde hält den Egotrip nicht mehr aus, der Vater, gespielt von Michael Ophelders ist völlig überfordert, wie er es immer war. Thront er doch über allem, immer unerreichbar, immer beschäftigt. Die Schauspieler leisten viel in dieser Inszenierung, besonders körperlich. Vom Nachtclub in die Drogenklinik, vom DJ-Pult auf den Gymnastikball und wieder zurück in den Drogensumpf, in die Partyhölle. Da ist Bewegungseinsatz gefordert. Dabei schafft man es den richtigen Bogen zu schlagen, nicht sinnlos zu agieren, verstörend rum zu zappeln. Die Bewegungen sind hektisch, aber nicht daneben.

…versteckt hinter hartem Beat

Besonders eindrucksvoll die Ausbrüche und Verrücktheiten von Daniel Kröhnert als Crystal Pete, verzweifelt sucht er sein T-Shirt, stürzt sich weinend auf seinen Gymnastikball, ordnet seine Kleidung über den genervten Mit-Patienten. Ein besonders negatives Beispiel für die Folgen von Drogenkonsum und ein besonders positives Beispiel für eindrucksvolles und doch ausgewogenes Spiel.

Schön auch Alina Wolff, die in gleich drei Rollen zeigt, was sie kann. Beispielsweise als Groupie Jenny: Jung, dynamisch, drogenabhängig, ziellos, richtungslos, laut, abgestürzt. In selbst gedrehten Videos von Partyexzessen spiegelt sie jene Generation wieder, der man Alkoholverbote an volkstümlichen Feiertagen zu verdanken hat.

Daneben die besonnene Ärztin, deren pure Anwesenheit fast heilsam ist, mal wieder eine tolle Barbara Ullmann, aber das kennt man ja schon gar nicht mehr anders.

Der vollkommen überforderte Vater, auch sehr gut, Michael Ophelders. Der fürsorgliche, pädagogisch wertvolle Pfleger Alex, alias Tim Olrik Stöneberg. Fast eine seiner sympathischsten Rollen, Tiefen-entspannt, verantwortungsbewusst, zupackend, wenn es sein muss.

Regisseurin Britta Benedetti schafft hier ein rundum gelungenes Abschiedsstück, verlässt sie Trier doch nun. Frankfurt calling. Doch mit “Berlin Calling” zeigt sie noch einmal ihr Talent für ausgefeilte Figuren und Fingerspitzengefühl für Situationen und Bewegungsabläufe. Sie lässt ihre Figuren in den Drogensumpf abrutschen und nicht die Geschichte dahinter.

Kein Moralstück, sondern eine kalte Analyse von Problemen, die Viele betreffen. Mit ausgereiften Ideen verdeutlicht sie rein körperliche Prozesse, wie etwa den Entzug von Ickarus, sehr gut dabei Matthias Stockinger, wie er etwa mit einem Leuchtstäbchen selbigen Entzug auf seinem T-Shirt nachzeichnet. Benedetti nutzt Musik- und Lichtelemente, ohne dass es billig oder aufgesetzt wirkt. Alles bleibt echt, nah dran.

Ebenso die Kostüme von Yvonne Wallitzer: Technokultur trifft Arztkittel und biedere Väterlichkeit. Das Bühnenbild von Peter Müller, ein Baugerüst, erinnert an die Bilder, die man in Großstädten häufig sieht: moderne, bis auf den Kern reduzierte Lofts, industriell anmutende Clubs, ständig renovierungsbedürftige Altbauten. Hier stimmt alles.

Zum Abschluss “Sky and Sand” von Paul Kalkbrenner, der den DJ Ickarus 2008 im gleichnamigen Film spielte. Die Musik ist wie das Stück, antreibend, modern, bewegend, aber gleichzeitig melancholisch. Die Botschaft versteckt hinter alles übertönendem Beat.

Fazit: Anschauen.
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Trierischer Volksfreund, 18.04.2013

Kaputt und zugedröhnt

von Sybille Schönhofen

Mit “Berlin Calling” hat am Mittwochabend die nächste Studioproduktion des Trierer Theaters Premiere gefeiert. Eindringlich, schnell und spannend überzeugte die Inszenierung um einen im Kampf gegen Drogen scheiternden Kult-DJ. Das Publikum honorierte nicht nur die Leistung, sondern auch die Aufnahme solch eines unverstaubten Stoffes.

Trier. “Berlin Calling”, das sind schweißtreibende 90 Minuten Vollgas. Vor allem für den Hauptdarsteller Matthias Stockinger in der Rolle des mit Drogen vollgepumpten Ickarus ein emotionaler und körperlicher Kraftakt. Pausenlos sind seine Glieder in hektischer Bewegung, sein Körper bebt, die Gesichtsmuskeln krampfen. Sein fatalistisches Spiel bis zum Drogentod ist überzeugend, nur seine persönliche Ausstrahlung ist softer, als man es von einer Figur wie DJ Ickarus, der im gleichnamigen Film von Kult-DJ Paul Kalkbrenner gespielt wird, erwartet.

Filmszenen werden integriert

Gekonnt macht sich die Trierer Inszenierung von Regisseurin Britta Benedetti das filmische Mittel zunutze, um eigene Einspieler mit Szenen außerhalb der Bühne in die Kulisse zu projizieren. Durch geschickte Umsetzung werden auch die Eindrücke aus der halluzinierenden Sinneswelt erlebbar. Die Stimmen, die Ickarus hört, sind dreifach verfremdet. Durch ein Mikro verändert, durch eine transparente Wand auf räumliche Distanz gehalten und in den Klangsumpf von Elektromusik gesprochen. Barbara Ullmann brilliert in der Rolle der Ärztin in der psychiatrischen Klinik, in der Ickarus vergeblich versucht, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Ihr gelingt es, bei zurückhaltender Spielweise Tiefe in die Figur zu legen. Diese Vielschichtigkeit fehlt der weiblichen Hauptrolle Mathilde, gespielt von Alina Wolff, die als Ickarus\' Freundin und Managerin mit ihrer überaus prononcierten Aussprache aus der Tanzclub-Szene herausfällt und allzu mütterlich korrekt an Glaubwürdigkeit einbüßt.
Die Nebenrollen sind klasse besetzt. Michael Ophelders ist authentisch als besorgter Vater, der verankert im bürgerlich-liberalen Milieu im Konflikt mit seinem Sohn steht.

Spiel geht unter die Haut

Alina Wolff ist sexy als Gogogirl und spielt packend durchgeknallt, überdreht und abgründig als Junkie Jennifer. Daniel Kröhnert bekam für seine ergreifende bis komische Darstellung des psychotischen Patienten Pete verdienten Extraapplaus. Ebenso wie Tim Olrik Stöneberg, der großartig den extrem lässigen Krankenpfleger und den harten Drogendealer verkörpert. Der starke Schluss, in dem Stockingers Spiel ungebremst unter die Haut geht, setzt das Ausrufezeichen hinter das Prädikat “Sehenswert”. Das Publikum freut sich über so einen aktuellen Stoff aus der jungen Szene und bedankte sich mit langanhaltendem Applaus, anerkennenden Pfiffen und Rufen.
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Landestheater Gera


Ostthüringer Zeitung, 20.02.2012

Junges Publikum bei “Berlin Calling”!

von Angelika Bohn

Premiere für Berlin Calling in der Geraer Bühne am Park das Stück nach dem Kultfilm lockt junges Publikum.

Was im Leben zählt, darum geht es in “Berlin Calling”. Im Stück genauso wie im gleichnamigen Film von Hannes Stöhr, nach dem das Stück entstand. Doch Film und Theater sind verschiedene Schuhe. Man mag enttäuscht sein, dass nur einmal die kraftvollen Kalbrenner-Beats durch die Bühne am Park dröhnen. Dann, wenn DJ Ickarus (David Lukowczyk) im Spinnennetz seines Erfolgs tanzt und zappelt, halb selbstverloren, halb verzweifelt. Gefangener eines Erfolgs, der nie genug ist.

Pedro Martins Beja (Regie) und Jeremias Böttcher (Bühne/Kostüme) haben sinnfällige und schöne Bilder gefunden. Das Netz aus Haushaltsfolie, das Ickarus webt. Und damit den Käfig noch kleiner macht, in dem sich das Karussell des Lebens dreht. Diesen Käfig aus Image, Kunst, Bewunderung, den die falsche Pille zur Zelle in der Klapse werden lässt.

Von der existentiellen Krise des DJs erzählt diese Inszenierung in einer sehr genauen Sprache. Einer, die Leuten aufs Maul schaut, die keine verbalen Tabus kennen. Die Menschen sprechen, die für ihre Einsamkeit, ihre Unbehaustheit, ihr Elend, ihre Liebe und ihren Hass nur noch Gossenworte haben.

Da sind die Tiraden von Mathilde (Vanessa Rose), die irgendwie lieber selbst Kunst machen würde, als sich darum zu kümmern, dass Ickarus endlich mit dem neuen Album fertig wird. Böse, hilflose Tiraden, doch wie sie in ihrem lächerlichen kurzen Pelz so verbissen kämpft, das macht aus Mathilde eine starke Frauenfigur. Die in Dr. Paul (Mechthild Scrobanita) eine Antipodin wie eine Stahlsaite hat. D er Feinsprech der Ärztin steht für eine Gegenwelt, die noch kälter und kalkulierter ist als die der DJs, Dealer und Süchtigen (Henning Bäcker und Peter Schneider) ist.

Das Stück “Berlin Calling” setzt sich aus Schlaglichtern und Wiederholungen zusammen. Es ist eher ein Puzzle als ein, einer klassischen Dramaturgie folgendes Stück, auch eine obwohl sehr professionelle Arbeit, die sich von Vorstellung zu Vorstellung verändert. Das ist Neuland für dieses Theater und beschert ihm ausverkaufte Vorstellungen und ein junges Publikum, für das das Theater wiederum Neuland ist.
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Landestheater Altenburg


Ostthüringer Zeitung / Schmölln, 23.11.2011

Brüll mir das Lied vom Wahnsinn

von Martin Gerlach

Uraufführung BERLIN CALLING im Landestheater Altenburg – Um Techno gehts dabei wirklich nicht
Altenburg. Die Prostituierte jagt die Agentin. Die Männer hüpfen auf den Springbällen wie Flummis über die Bühne. Mathilde rennt Runden, kotzt auf den Bühnenboden. Die Prostituierte muss aufpassen, dass sie nicht darauf ausrutscht. In seinem Zimmer verspinnt sich Ickarus, der Held von “Berlin Calling”, derweil in Fäden aus Frischhaltefolie. Das ist eine derbe Party in der Klinik mit Koks und Nutten. Es spielt Tanzmusik. Flotter Beat, starker Bass. Laut. So laut, dass sich der Intendant im Publikum die Ohren zuhält. Schön durchgeknallt ist die Szene. Noch mehr als die mit dem Dildo am Anfang. Der Wahnsinn ist auf dem Höhepunkt. Endlich spielt Musik. Ja, das ist “Berlin Calling”, uraufgeführt im Landestheater Altenburg nach dem Film von Hannes Stöhr in dem DJ Paul Kalkbrenner die Hauptrolle spielt.

Ickarus (David Lukowczyk) hat Probleme. Er arbeitet als DJ, ist erfolgreich, doch weil die Unterhaltungsindustrie grausam kräftezehrend ist und Nerven nicht schont, dreht er durch. Ecstasy-Tabletten lassen ihn endgültig ausflippen. Ickarus wird in die Nervenklinik eingeliefert, mit der Hoffnung, dass sich sein Zustand bessert. Doch Psychologin Dr. Petra Paul (Mechthild Scrobanita) macht ihn irrer und wütender. “Je mehr ich sein will, desto leerer werde ich”, sagt Ickarus.

Die Altenburger Version von “Berlin Calling” spart zuerst an Musik. Wenn Hannes Stöhrs Film bereits mit Party beginnt, brüllt in Altenburg Ickarus in die Reihen, wie schlecht sein Leben ist. Er brüllt und brüllt, es kommt seine Freundin Mathilde (Vanessa Rose) und Klaus (Henning Bäcker) und Pete (Peter Schneider) und brüllen mit. Es ist ein anstrengender Beginn. Es wird nicht wenige im Publikum geben, die das zu derb finden.

Pedro Martins Bejas Stück wird zur Generalabrechnung mit dem Künstlerdasein. Er lässt seine Schauspieler über ihre Profession sprechen. Sie reden vom Wahn des Individualismus, von der Grausamkeit der Gesellschaft. Die Grenzen zwischen Schauspieler und Schaugespieltem verschwimmen. Ob das Not tut? Nicht zwangsläufig. Der Gastregisseur beschreibt nicht, so wie es im Film geschah, die Techno-Szene, die in Berlin so undurchsichtig scheint. Sondern er konzentriert sich aufs Individuum und verallgemeinert. Er fragt, was echt ist und was nicht. Die Gesellschaft ist schlecht, die Menschen auch und Drogen sowieso. Das ist eine Generalabrechnung, die auf Zeigefinger jeglicher Art verzichtet. Beja setzt eine Kamera ein, die den Betrachter zum Voyeur macht. Der Zuschauer rückt den Protagonisten dicht auf die Pelle, zeigt sie verzerrt und aufdringlich nah, irgendwie wahnsinnig.

“Berlin Calling” ist bereits jetzt bei den Zuschauern von TPT Altenburg-Gera überaus beliebt. Bereits die nächste Vorstellung ist fast ausverkauft.
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