Stadttheater Gießen
Gießener Anzeiger, 19.09.2011
Schablonenhaftes Entführer-Trio
von Thomas Schmitz-Albohn
„Die fetten Jahre sind vorbei“ im TiL vom jungen Publikum begeistert aufgenommen
„Cool, das ist echt cool, ehjjjj!“ – dieser spontane Kommentar einer jungen Zuschauerin sagt eine Menge darüber aus, was man auf der TiL-Studiobühne zu erwarten hat. Nach dem erfolgreichen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ mit Julia Jentsch und Daniel Brühl in den Hauptrollen ist dort zum Auftakt der Spielzeit das gleichnamige Theaterstück von Gunnar Dreßler in der Regie von Carsten Fuhrmann zu sehen. Bei der Premiere am Freitagabend klatschte das überwiegend junge Publikum begeistert Beifall – und den hatten sich alle Beteiligten auch redlich verdient.
Genau wie der Film erzählt das Stück von einer Gruppe junger Leute, die ein bisschen gegen die Ungerechtigkeit der Welt rebellieren und den reichen Bonzen einen Denkzettel verpassen wollen. Mit Engagement und sehr viel Herzblut spielen Marie Bauer (Jule), Corbinian Deller (Peter) und Pascal Thomas diese idealistischen, reichlich naiven Weltverbesserer, die nachts in Villen einbrechen und allerlei Verwüstungen anrichten. Mitgehen lassen sie allerdings nichts. Je länger man dem Trio zuschaut, desto stärker meint man, in einer überambitionierten Schultheateraufführung zu sitzen. Gewiss, die drei jungen Darsteller geben ihr Bestes, aber aus den schablonenhaft gezeichneten Figuren der Stückvorlage lassen sich kaum glaubwürdige Charaktere machen. Auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Möchtegern-Revoluzzer ist von „Scheiße“, „Wichser“ und nochmal „Scheiße“ rasch ausgeschöpft.
Thomas Döll hat die Bühne mit hohen, verschiebbaren Wänden ausgestattet, die sich verschieben oder auch bemalen lassen, wenn sich etwa Jule von Jan beim Zimmerrenovieren helfen lässt. In der Wohngemeinschaft liegen eine Matratze und etliche Klamotten am Boden; dagegen wird das Ambiente der Villa durch Ledersofa, Teppich und diverse Beistelltischchen verdeutlicht. Letzter Schauplatz ist eine spartanisch mit Tisch und Stühlen bestückte Berghütte in Tirol, wohin das Trio den Topmanager Hardenberg entführt hat.
In der Rolle des gefangenen Klassenfeindes, der sich zum Erstaunen seiner Entführer als Alt-68er entpuppt, lässt Christian Lugerth die Jungen alt aussehen. Hier zeigt sich ganz der Bühnenroutinier, der dem anfänglich gönnerhaften Topmanager interessante Facetten abzugewinnen versteht und wenigstens ein wenig Witz aufblitzen lässt. Gerade im ideologischen Aufeinanderprallen von Einst und Jetzt, gerade da, wo sich die aufmüpfigen Jungen über den in SDS-Erinnerungen Schwelgenden lustig machen könnten, lockt Lugerth seine Gegenspieler mit kleinen Seitenhieben aus der Reserve.
Wie die Premiere zeigte, war das junge Publikum Feuer und Flamme.
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Theater & Philharmonie Thüringen
Thüringische Landeszeitung, 30.05.2011
Premiere in Gera: “Die fetten Jahre sind vorbei”
von Jördis Bachmann
Das passiert ganz langsam: Erst steht man bei den Studentendemos in der ersten Reihe und dann – 20 Jahre später – “ertappt man sich dabei, dass man in der Wahlkabine ein Kreuz für die FDP setzt”.
Gera. Leben wir in einer Demokratie oder in einer Diktatur des Kapitals? Dieser Frage widmet sich Hans Weingartners Film “Die fetten Jahre sind vorbei” (2004), der nun von Gunnar Dreßler für das Theater Gera eingerichtet wurde.
Am Samstag hatte das Stück unter der Regie von Christine Hofer auf der Bühne am Park Premiere: Die Großstadtrevolutionäre Jan (Manuel Kressin) und Peter (Henning Bäcker) wollten den “Bonzen” eigentlich nur vor Augen führen, dass sie zu viel Geld besitzen – ein bisschen umräumen in den großen Villen, ein bisschen Unruhe stiften im gradlinigen Leben des etablierten Großbürgertums. Doch als Peters Freundin Jule (Vanessa Rose) gemeinsam mit Jan in die Villa des Managers Justus Hardenberg (Ulrich Milde) einsteigt, dem sie wegen eines Auffahrunfalls 100 000 “Takken” Schulden verdankt, kommt alles ganz anders: Hardenberg überrascht die beiden bei ihren Umgestaltungsmaßnahmen in der Villa, und, ohne es zu wollen, werden Jule, Jan und Peter von idealistischen Revoluzzern zu Entführern.
Der Kniff der Inszenierung ist die Nähe zum Publikum – das Stück bleibt nicht auf der Bühne, es bleibt keine fiktive Geschichte, die hermetisch abgeschlossen erzählt wird, sondern bezieht den Zuschauer ein. “Haben sie einen guten Parkplatz gefunden, gleich neben dem Theater? Alles schön bequem?” Schnell fühlt man sich unbehaglich: Hätte man mit dem Fahrrad kommen können? Sind die neuen Schuhe, die man beim Theaterbesuch einweiht, wirklich nötig gewesen?
Dabei schafft es Christine Hofer, nah an der filmischen Vorlage zu bleiben und dennoch Bezug auf aktuellere Themen zu nehmen – Fukushima und E-10 tauchen auf, ohne in das Stück hineinkonstruiert zu wirken. Die Inszenierung lebt von der Natürlichkeit der Schauspieler, der Schlichtheit der Kulisse, Rio Reisers Musik und der Kraft der Dialoge. Die Setting wechseln, ohne dass Kulissen geschoben werden müssten. Mit einem lauten Knall wird aus der Villa Hardenbergs das Waldhäuschen, in das er entführt wird, und daraus entsteht das Boot, mit dem Jule, Jan und Peter schließlich die Flucht ergreifen. Als Flüchtende bleiben sie dennoch Helden, und Hardenberg, der sich als verständnisvolle Geisel und einstiger Anti-Kapitalist entpuppt, lässt am Ende auch charakterlich die Hosen runter und beschämt damit den Zuschauer.
Natürlich wird hier nichts beantwortet: Wie sieht sie aus, die bessere Welt? Das war weder Anliegen des Films noch der Inszenierung. “Die fetten Jahre sind vorbei” tut das, was Jule, Jan und Peter tun: etwas Unruhe in den Alltag bringen, und uns daran erinnern, dass “jedes Herz eine revolutionäre Zelle ist”.
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Landestheater Altenburg
Freie Presse, 28.04.2011
Requisitenschlachten: Kleine Horrorschau in Altenburg
von Lutz Kirchner
Christine Hofer hat “Die fetten Jahre sind vorbei” auf die Bühne gebracht
Altenburg/Gera. Ein kleines bisschen Horrorschau zur Premiere auf der Studiobühne im Heizhaus des Landestheaters Altenburg: Vanessa Rose als Jule und Manuel Kressin in der Rolle des Revoluzzers Jan gaben alles beim Requisitenschlachten. Die jungen Schauspieler rissen johlend Schubkästen, groß wie Reisekoffer, aus den Halterungen einer übermannshohen Holzkonstruktion, die an eine Schrankwand aus den 1980er-Jahren erinnerte. Ein Behälter nach dem anderen krachte auf den Boden, spuckte den Inhalt aus. Das Paar schleuderte wie im Rausch Papierstapel zum Bühnenhimmel empor. Blätter regneten wie nach der Kirschblüte, Mietverträge, Schuldverschreibungen, Aktienpakete. Das Teufelszeug aus der Waffenkammer des Kapitals landete unter tanzenden Füßen – eine Szene voller anarchischer Lust.
Bühnenbildner Dirk Seesemann hatte für das Schauspiel nach dem Kinofilm des österreichischen Regisseurs Hans Weingartner schlichte, wandelbare Kulissen entworfen, die für Straßenszenen ebenso taugten wie zur Villa und später zu einer Jagdhütte. Umbaupausen braucht es nicht. Was auf den Boden fiel, blieb liegen bis zum Schlussapplaus. Bis zum Finale währte das Kammerspiel nur reichlich 60 Minuten, Gelegenheiten zum Stolpern und Straucheln blieben trotzdem.
Regisseurin Christine Hofer (Jahrgang 1975) hat bereits für das gelobte Projekt “Ostostost – Was vom Westen übrig blieb” am Schauspiel Chemnitz inszeniert, auch für die Ruhrfestspiele und das Berliner Maxim-Gorki-Theater. “Die fetten Jahre” sind ihre erste Arbeit für das ostthüringer Haus. Die Vorlage hat sie dafür in der Bearbeitung von Gunnar Dreßler in knappe, temporeiche Szenen übersetzt. Dem Schauspiel-Quartett blieb bis zum mehrdeutigen, weich gespülten Happyend – alle überlebten und waren scheinbar wieder lieb zu einander – kaum Zeit zum Atemholen. Neben Rose und Kressin traten Henning Bäcker als ebenso leidenschaftlicher wie gutmütiger Bürgerschreck auf, der mit einer ungeladenen Pistole zum Aufstand geht, und Ulrich Milde als Hardenberg. Der Wirtschaftsboss, das spätere Entführungsopfer, kehrte schließlich den 68er hervor und setzte an zu einer Parabel über im bürgerlichen Alltag verlorene und vom Wohlstand korrumpierte Ideale.
Das Stück
Für Jule sind die fetten Jahre vorbei. Die junge Frau hat einen Verkehrsunfall verursacht und muss zahlen – bis es schmerzt. Die Raten gehen durch die Decke. Sie verliert ihre Wohnung und zieht mit Jan und Peter zusammen. Die Freizeitrevoluzzer brechen in Villen ein und lassen Chaos zurück. Die Opfer aus der reichen Oberschicht sollen daraus etwas lernen. Dann gerät das Trio an Jules Unfallgegner. Sie entführen den Mann in eine Berghütte, parlieren und philosophieren über den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse in Liebe und Gesellschaft.
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Theater Lübeck
Kieler Nachrichten
Fischsuppe ausgelöffelt
Am Anfang muss man die Sitzbänke selbst aufbauen, am Ende isst man gemeinsam die Fischsuppe, die während der Aufführung gekocht wurde und stimmt über den Ausgang der Geschichte ab: der passende, ungewöhnliche Rahmen für ein ungewöhnliches Theaterstück über Revolution und die Suche nach gescheiterten Träumen. Es ist eine Herausforderung, Filmstoff auf die Bühne zu bringen, doch dass es funktioniert, zeigt Die fetten Jahre sind vorbei. An den preisgekrönten Film von Hans Weingartner wagt sich Regisseur Dirk Engler im Jungen Studio des Lübecker Theaters und sein Stück zieht fast genauso in den Bann wie der Film.
Das Stück steigt da ein, wo der Film schon im vollen Gange ist: Es beginnt in der Hütte, wo Jule (Anne Schramm), Jan (Jörn Kolpe) und Peter (Will Workman) den Topmanager Hardenberg (Martin Schwartengräber) als Geisel gefangen halten. Während die Zuschauer mit den jungen Schauspielern die Sitzbänke aufbauen, erfahren sie die Vorgeschichte. Die drei nennen sich ›die Erziehungsberechtigten‹, brechen in Häuser Reicher ein, stellen die Möbel auf den Kopf, aber stehlen nichts. Stattdessen hinterlassen sie Botschaften: ›Sie sind zu reich‹ oder ›Die fetten Jahre sind vorbei‹. Eines Nachts brechen sie in die Villa Hardenbergs ein, dem Jule mit ihrem Wagen in den Benz gefahren ist. Hardenberg überrascht sie, sie kidnappen ihn, ohne zu wissen, was sie mit ihm machen sollen.
Ums Fischsuppe-Kochen muss Hardenberg sich kümmern, und während er den Fisch zerlegt und Zwiebeln häutet, kommt man sich näher. Der Manager erzählt von seiner 68er-Vergangenheit, Jule, Jan und Peter werfen ihm vor, seine Ideale verraten zu haben. Mittendrin der Zuschauer, er isst die Suppe, macht sich zum Mitwisser, Mittäter und muss am Ende entscheiden, was mit der Geisel passieren soll. Ein gewagtes Experiment, das gelingt: Die eindringliche Nähe des Films entsteht auch hier, mit einfachen Mitteln verschwimmen die Grenzen zwischen Bühne und Realität. […] eine gelungene Aufführung, die die Widersprüche bloßlegt, in die sich heutige Rebellen verfangen. Ein Stück, bei dem man sich hin und her gerissen fühlt zwischen den hervorragenden Schauspielern, bei denen besonders Jörn Kolpe als fanatischer, bestens in 68er-Rhetorik geschulter Jan hervorstach.«
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Lübecker Nachrichten
Die Speisung der 50 Zuschauer
In ›Die fetten Jahre sind vorbei‹ am Theater Lübeck sind die Zuschauer Teil der Inszenierung. Bei der Premiere fielen einige aus der Rolle.
Das Publikum muss erst einmal aufräumen. Als die 50 Premierengäste geschlossen das Studio des Lübecker Theaters betreten, herrscht dort Chaos: Die Sitzbänke liegen kreuz und quer übereinander. Wer den Film kennt, der der folgenden Aufführung zugrunde liegt, begreift: Hier waren ›Die Erziehungsberechtigten‹ am Werk, junge Leute, die in Villen einbrechen, um das Inventar ein wenig in Unordnung zu bringen. Damit die Besitzenden merken, dass sie nicht allein sind auf der Welt. An die Wände sprühen sie Parolen wie ›Die fetten Jahre sind vorbei‹. Das ist der Titel des Films von Hans Weingartner, das ist auch der Titel des Theaterstücks, das der Regisseur Dirk Engler nach diesem Film inszeniert hat. Als durch den Einsatz der Besucher Ordnung herrscht, tritt die Anarcho-Gruppe in Aktion: Jule, Jan und Peter (Anne Schramm, Jörn Kolpe und Will Workman), die rabiat die Handys der irritierten Gäste einziehen und in Tüten bis zum Vorstellungsende aufbewahren: ›Die Polizei könnte uns orten!‹ Denn sie haben einen kapitalen Manager entführt, einen gewissen Hardenberg (Martin Schwartengräber). Es war mehr eine Kurzschlusstat als ein politisches Kidnapping. Aber nun, da es passiert ist, muss die Sache ideologisch fundiert werden: ›Einen treffen, hundert erziehen.‹ Gefesselt wird er hereingeführt. ›Du kochst heute Fischsuppe‹, wird er angewiesen. Der Kapitalist soll sich nützlich machen. Die Zutaten haben die Drei organisiert, auch einen mächtigen Lachs. Nun sieht man Hardenberg beim Häuten der Zwiebel, beim Zerkleinern des Gemüses, beim Entgräten des Fisches. Auf einer Kochplatte zieht die Suppe, es riecht appetitlich im Saal. Ganz nebenbei bringt das Opfer die Entführer unter Rechtfertigungszwang. Sie reklamieren die Propaganda der Tat für sich. Der eine spielt den Theoretiker, der andere den Revolutionsromantiker, die dritte ist Mitläuferin, die nur wild und frei leben will. Gemeinsam sind sie sinnsuchende Mittelstandskinder. Hardenberg weicht ihre harten Seelen auf, bekennt mit Wehmut, dass auch er einmal ein autonomer Kämpfer war. ›Soll ich euch meine Narben zeigen?‹ Und er prophezeit den jungen Leuten eine bürgerliche Zukunft.
Dann ist die Suppe fertig und das Publikum muss Tische aufbauen, darf sich bedienen, bekommt auch Baguette und Weißwein (wahlweise Wasser) gereicht. […] Das Publikum soll bestimmen, was mit Hardenberg geschieht. Dass es eine Mehrheit für die Freilassung gibt, ist keinen Moment fraglich. Der heilige Ernst, mit den Schramm, Kolpe und Workmann ihre Charaktere spielen, überlebt auch den Klamauk um die Speisung der 50. Das, […], ist das Wunder diese Inszenierung: Sie sind authentisch. Und Schwartengräber nimmt man ohne zu zögern ab, dass er an der Startbahn West und in Wackersdorf dabei war. Zudem weiß er fachmännisch einen Lachs zu filetieren. Das kann man in den besseren Kreisen.
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Tribüne Berlin
Berliner Morgenpost, 03.03.2010
Die fetten Jahre sind auch auf der Bühne vorbei
von Ulrike Borowczyk
Weil es Demos längst an politischer Wucht fehlt, rebellieren Jan und Peter auf ihre Weise gegen das Establishment: Sie brechen nachts in Villen ein, veranstalten dort Chaos, stehlen aber nichts, sondern hinterlassen in großen Lettern die Botschaft “Die fetten Jahre sind vorbei”.
Doch dann fährt Peter nach Barcelona und seine Freundin Jule überredet Jan, in die Villa ihres Gläubigers Hardenberg einzusteigen. Nicht nur, dass sich die beiden während des Bruchs verknallen, sie werden auch von Hardenberg überrascht. Gemeinsam mit Peter entführen sie ihn und stehen damit vor einem Riesenproblem.
Hans Weingartners Anti-Globalisierungskomödie “Die fetten Jahre sind vorbei” war einer der ambitioniertesten Filme des Jahres 2004. Kein Wunder also, dass auch die Bühnenadaption von Gunnar Dreßler mittlerweile zu den meistgespielten Stücken an deutschen Theatern gehört. Nun hat der Autor selbst das Stück in der Tribüne inszeniert. Herausgekommen ist keine Kopie der Leinwandstory, sondern eine sehr heutige Produktion mit teils schnellgeschnittenen Szenen und überaus authentischen Darstellern, allen voran Sebastian Rein in der Rolle des Jan, den im Film Daniel Brühl spielte. Eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme, die auch nach dem Theaterabend zum Nachdenken anregt.
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Berliner Woche, 03.03.2010
Die fetten Jahre sind vorbei
CHARLOTTENBURG. Gefesselt und eine Einkaufstüte über den Kopf gezogen, sitzt der entführte Manager vor den pistolenbewaffneten Revolutionären
Der Manager ist in der Geschichte „Die fetten Jahre sind vorbei“ echt, aber die drei Jugendlichen, die ihn entführt haben, sind alles andere als eine „terroristische Vereinigung“. Zwei junge Männer machen sich einen Spaß daraus, in Grunewaldvillen einzubrechen und die Lebensbereiche der Schickeria umzuorganisieren: Schmuck gerät ins Tiefkühlfach oder Stühle zu wackligen Türmen geschichtet. Dazu hinterlassen sie Sprüche wie „Die fetten Jahre sind vorbei. Die Erziehungsberechtigten“. Das Mädchen kommt eher zufällig dazu. Zum terroristischen Akt wächst sich die politisch gemeinte Verletzung der Privatsphäre erst aus, als das Mädchen und der Freund ihres Freundes vom Gläubiger überrascht werden und Letzterer dabei im Handgemenge niedergeschlagen wird. In einem panischen Versuch, alles vertuschen zu wollen, rufen sie den Dritten im Bunde herbei, der beschließt, sich mit allen Beteiligten in eine Berghütte zurückzuziehen.
Die Geschichte gab es in etwas veränderter Konstellation schon einmal in dem gleichnamigen Film von Hans Weingärtner. Gunnar Dreßler hat die Geschichte für das Theater Tribüne adaptiert.
Authentische Bühnenversion
In der Tribüne an der Otto-Suhr-Allee 18 ist noch bis zum 14. März die authentische Version des Autors zu sehen, dem es mit den Darstellern Stella Denis, Martin Olbertz, Sebastian Rein und Joel Stuehl berührend gelang, die Konfliktebenen Jugendlicher heutiger Zeit auszuloten: Eher harmlos gemeinte Gesetzesbrüche wachsen sich unversehens zu einer politischen Haupt- und Staatsaktion aus. Bei dem hilflosen Versuch, sich aus der verfahrenen Situation herauszumanövrieren, haben die „Entführer“ auch noch einen klassischen Dreieckskonflikt auszutragen. Das läuft alles in einer Szene zusammen, die von den Darstellern so wunderbar gemeistert wird, dass die älteren Zuschauer weise lächeln und das junge Publikum gefangen ist. Damit ist Gunnar Dreßler schon eines gelungen, was er sich bei der Neueröffnung der Tribüne auf die Fahne geschrieben hat: die Jugend für sein Haus zu gewinnen. Die ist gern bereit, sich auf die in der Inszenierung diskutierte Frage einzulassen, was heute im Nachgang zu dem gescheiterten Sturm der 68er auf den Kapitalismus, dem verglimmenden Kampf gegen Atomkraftwerke, Autos und Konsum noch revolutionär ist. Sollte es eine Bewegung gegen die Manipulationsindustrie mit ihrem Flaggschiff dem Fernsehen sein? Mit letzterer Idee wird jedenfalls das Publikum entlassen.
FW
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Theater Ingolstadt
Augsburger Allgemeine, 06.10.2008
Erst Einbruch, dann Entführung
von Volker Linder
Schon bei der zweiten Premiere kommt das Spielzeitmotto “Demokratie” als “Diktatur des Kapitals” daher. So zumindest sieht es Jan, der mit seinem Freund Peter und dessen Freundin Jule in Villen der Berliner Oberschicht einbricht und die teuren Möbel zu kunstvoll chaotischen Luxus-Gebilden auftürmt. Geklaut wird nichts, es bleibt nur die Nachricht: “Die fetten Jahre sind vorbei.” In der Bühnenfassung von Hans Weingartners gleichnamigem Kinoerfolg von 2004 lotet Regisseur Falco Blome zu den Klängen von Radiohead, Portishead und der heimischen Indieband Slut Revolutionsmöglichkeiten aus. Das Publikum wird im Kleinen Haus ungefragt zur Ausbeuter-Klasse, muss sich von den Schauspielern herumkommandieren lassen und seine Sitzreihen selbst zusammenstellen. Dann erst kann sich die Gruppendynamik der Hobby-Revoluzzer so richtig entfalten. Susanne Engelhardt, Christian Bo Salle und Ole Micha Spörkel füllen die Bandbreite von erhitztem Revoluzzer-Gemüt bis zum pubertären Selbstzweifel glaubhaft und mit Spielfreude aus. Rolf Germeroth ist als entführter Manager Hardenberg souverän und witzig. Die Inszenierung übertreibt es auch nicht mit der Publikumsinteraktion, sodass der Kino- auch zum Bühnenerfolg wird. Allerdings findet die Inszenierung nicht wirklich eine eigene dramatische Lesart.
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KULTURKANAL INGOLSTADT, 06.10.2008
Die fetten Jahre sind vorbei
von Isabella Kreim
Im kleinen Haus: das Unbehagen an der Demokratie der heute unter 30jährigen. „Die fetten Jahre sind vorbei“ nach dem gleichnamigen Film von Hans Weingartner aus dem Jahr 2004. Schade, dass man diesen Theaterabend nicht rückwärts abspulen kann. Der offene Schluss, den Regisseur Falco Blome aus zwei unterschiedlichen Filmversionen gebastelt hat, bringt endlich kontroverse Fragen ins Spiel und befragt unsere eigenen Klischees zu den Klassenfeinden auf der Bühne. Ist dem Managerbonzen wirklich zu trauen, auch wenn er mal ein 68er war? Oder wird er die Bullen auf die Spur seiner Geiselnehmer wider Willen hetzen? Bietet er wirklich seine Yacht zum Sabotageakt an den Fernsehsatelliten an? Und finden das Protest-Trio über alle privaten Eifersuchts-Dramen hinaus wirklich zu einem politischen Rebellenleben, indem sie ans Mittelmeer aufbrechen und Europa für ein paar Stunden fernsehfrei machen? Doch von Anfang an: Das Unbehagen über die Kluft zwischen Arm und Reich in dieser Bundesrepublik und in Bezug auf die Ausbeutung der 3. Welt zum Ausdruck zu bringen, ist nicht leicht für die Kinder- und Enkelgeneration der Studentenrevolte und RAF-Zeit der 60er und 70er Jahre. Attac-Demos und Antiglobalisierungsaktionen bringen nicht so wirklich den Kick der Weltrevolution. Jan, Peter und Jule gehören der Fungeneration an. Aber statt Komasaufen setzen die drei auf körpereigene Drogen: Angst, Spaß und Liebe und ein bisschen subversiv-anarchische Rebellion. Sie brechen in Luxusvillen ein, klauen aber nichts, sondern veranstalten eine Art Kunst-Happening, indem sie Möbel kreativ und absurd umräumen – um den Bonzen Angst einzujagen. Die hinterlassenen Botschaften lauten dann „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder „Sie haben zuviel Geld. Unterzeichnet. Die Erziehungsberechtigten.“ Jule hat ein persönliches Motiv, sich an einer solchen Aktion zu beteiligen. Sie schuldet dem Manager Hardenberg 100.000 Euro, weil sie seinen Luxusschlitten zu Schrott gefahren hat – Haftpflichtversicherung mal nicht bezahlt. Als sie von Hardenberg in dessen Villa überrascht werden, gerät der Sponti-Racheakt zu einer Entführung wider Willen. Hilflos gründen die Entführer mit ihrer Geisel eine Vierer- WG in den Bergen und debattieren über ihre Ideale und die politischen Ziele der 68er und wie schnell man vom Revolutionär zum Bonzen wird. Aber letztlich geht es nicht mehr um die Rettung der Welt vor dem neoliberalen Kapitalismus, sondern nur noch um die Rettung der eigenen Haut vor der Polizei und der Freundschaft des Trios, obwohl Peters Freundin Jule inzwischen auch mit Jan schläft. Diese hübsche Geschichte eines Generationskonflikts der Rebellion gewinnt erst mit der unfreiwilligen Entführung an Spannung und Intensität. Zuvor gibt es in dieser Aufführung zu viele retardierende Momente, in denen wir Musik hören können oder zusehen, wie sich Darsteller in Maler-Anzüge quälen oder Stühle hin- und hertragen. Und es ist auch kein sonderlich spannendes theatrales Vergnügen, 100 Stühle in 6er Reihen aufzustellen oder anderen Zuschauern dabei zuzusehen, wie sie aus der Stuhlberg-Installation die Zuschauerreihen aufbauen, auf denen man dann für die 2.Hälfte des Abends mit Blick auf die Tribüne Platz nehmen darf. Die inszenierte Interaktion mit dem Publikum ist so subversiv wie die Hilflosigkeit der drei Entführer, RAF zu spielen. Gleich zu Stückbeginn will die teil-improvisierte Publikumsanmache kein Ende nehmen. Wir werden nach Alter und Kleiderfarbe platziert und gefragt, ob wir die Wohnungstür auch wirklich abgeschlossen haben. Die Irritation ist kurz, viel zu harmlos, und nicht witzig genug. Dabei haben die drei jungen Schauspieler diesen Einstieg aus dem Pseudo-Privaten gar nicht nötig. Susanne Engelhardt und die beiden neuen Ensemblemitglieder Christian Bo Salle und Ole Micha Spörkel sind einfach klasse in ihrem ganz authentisch privaten Alltagsjargon und richtig gut, wenn sie mal ein bisschen Beziehungsschmerz und Entscheidungskrisen spielen dürfen. Rolf Germeroth muss nicht nur entsagungsvoll mit Fußfesseln von Stufe zu Stufe hopsen, er trifft diesen blassen Manager mit 68er Schwärmerei ohne Kotzbrocken-Klischee als eigentlich ganz sympathischen Durchschnittstypen. Vom Vorstand des SDS zum Kreuzchen bei der CDU. Von der freien Liebe in der 68er-WG zum genervten Ehekrüppel. Es hätte mit diesen vier Darstellern ein witzig anarchischer Theaterabend werden können. Aber diese zähe Publikumseinbeziehungsmasche ist so fad wie Komasaufen statt Rebellion.
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Staatstheater Nürnberg
Süddeutsche Zeitung, 09.02.2008
Zum Brüllen – Wutanfälle am Nürnberger Staatsschauspiel
von Olaf Przybilla
Einem behäbigen Besucher kann es durchaus passieren, dass er übel angeraunzt wird in dieser Inszenierung am Nürnberger Staatsschauspiel. Julia, wunderbar erregt verkörpert von Julia Bartolome, hat gerade das Bühnenbild weidlich destruiert – es sind aufeinander gestapelte Stühle. Während sie so wütet, sind die Besucher bereits eine halbe Stunde auf den Beinen, unterwegs zwischen zwei karg möblierten Funktionsräumen des Opernhauses. Als Jule fertig ist mit ihrem Werk, sollen sich alle, die bislang so untätig herumstanden, ein Sitzmöbel schnappen. Wer damit überfordert ist, den knöpft sich die Gelegenheitsterroristin ordentlich vor: „Sie haben keinen Stuhl? Das ist scheiße, das ist verdammt scheiße.“
Das Stück in Nürnberg heißt „Die fetten Jahre sind vorbei“. Wer den gleichnamigen Kinofilm von Hans Weingartner gesehen hat, könnte auf den Gedanken kommen, dass es diese Adaption gewiss nicht brauchen wird. Spätestens in dem Moment, in dem Jule ihren Schreianfall mimt, wird man dies revidieren müssen. Diese Inszenierung von Alexander May eiert dem Film nicht öde hinterher, sondern schafft Momente, die das Kino nicht bieten kann. May erzählt die Geschichte nicht neu. Wie im Film entführen drei junge Gutmenschen wider Willen einen zum Millionär mutierten ehemaligen Achtundsechziger. Er erklärt ihnen, wie das damals war als Führer im Sozialistischen Studentenbund – und wie die persönliche Geschichte ihren Fortlauf nahm: das Haus, Schulden, eine Familie, die Unfreiheit. „Und irgendwann entdeckst du dich dabei, wie du in der Wahlkabine stehst – und dein Kreuz bei der CSU machst.“
Der das sagt, der Alt-86er, wird gespielt von Michael Hochstrasser, unbestritten der Großmeister des Schauspielhauses. Neben ihm könnten Thomas Dietz und Constantin Lücke als Jungrevoluzzer alt aussehen. Sie tun es ebenso wenig wie Julia Bartolome, die etwas fabelhaft Terroristisches an den Tag legt, wenn sie einen so anbrüllt. Diese Nebenproduktion im „Malsaal“ gehört zum Besten, was man am Nürnberger Theater derzeit erleben kann.
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Nürnberger Nachrichten, 08.02.2008
Revolutionäre Umtriebe in der Almhütte
Action zwischen den Zuschauern, Videoeinspielungen und ein Stuhlturm: Das Stück «Die fetten Jahre sind vorbei» bietet im Malsaal des Nürnberger Schauspielhauses theatrale Abwechslung. Und Starmoderator Claus Kleber spielt auch mit.
Wer den gleichnamigen Film von Hans Weingartner gesehen hat, erlebt zwar nichts Überraschendes. Wer aber gepolsterte Theaterstühle gewohnt ist, kann sich immerhin auf Actiontheater mit interaktiver Note freuen.
Thomas L. Dietz, Constantin Lücke und Julia Bartolome spielen mit viel Verve, Balancierkunst, Schweiß und Kampfszenen drei Jugendliche, die mehr von der Welt erwarten als ein geregeltes Einkommen: Gerechtigkeit zum Beispiel. Jan und Peter nennen sich schon länger «Die Erziehungsberechtigten» und brechen in Münchner Villen ein, um dort ein bisschen Chaos zu veranstalten und den Wohlstandsbürgern Angst einzujagen. Als Peter kurz verreist, verliebt sich Jan in dessen Freundin Jule und nimmt sie mit auf eine Einbruchstour.
Die Vorgeschichte lässt Regisseur Alexander May im Foyer spielen, mitten unter den stehenden Zuschauern, auf der Galerie und hinter den Kulissen, in die eine Videokamera Einblick gewährt. Dann dürfen alle mit zum Villenknacken, mit viel «Psst» und «schnell hier rein» wird das Publikum in den Saal gelotst, wo Stuhlstapel die schicke Wohnung markieren. Dass aus denen ein ungeordnetes Kunstwerk à la Olaf Metzel entsteht, entbehrt nicht der Komik.
Inhaltlich nimmt das Stück erst im zweiten Teil Fahrt auf: die drei müssen den Hausherren Hardenberg (mit vollem Einsatz: Michael Hochstrasser) entführen, weil der sie ertappt hat. Ein fahrbares Gerüst markiert die Hütte, in die sie flüchten, und beim Kiffen und Zähneputzen kommt man sich näher.
Dass dieser wohlhabende Spießer selbst mal WG- und APO-Genosse war und die 68er samt freier Liebe gelebt hat, macht ihn für die jungen Chaoten sympathisch. Die haben weniger eine politische Aussage als Sehnsucht nach Revolution an sich. «Früher brauchtest Du nur lange Haare zu haben, heute ist es viel schwieriger, gegen das Establishment vorzugehen», sagt Jan. So wahr wie banal.
Schließlich macht der Entführte mit ihnen gemeinsame Sabotage-Sache: Während im Video Claus Kleber im «heute-Journal» über die Suche nach den «Erziehungsberechtigten» berichtet, bleibt plötzlich das Bild weg. Der Sendemast steht auf genau jener Insel, auf der Hardenberg seine Yacht hat. . . Die meist unterhaltsame Einstimmung ins 40. Jahr nach der Studentenrevolte wurde mit herzlichem Applaus bedacht. erl
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Nürnberger Zeitung, 08.02.2008
Die Entführer werden weich
von Hans-Peter Klatt
Wenn Eisbärenjunge besser ernährt werden als Babys, dann muss wohl etwas faul sein in unserer Gesellschaft. Das meinen jedenfalls «Die Erziehungsberechtigten«, zwei junge Revolutionäre des 21. Jahrhunderts, die jetzt auch im Staatstheater Nürnberg eingefallen sind. Dort haben sie die aktuelle Anspielung auf unsere Flocke in ihren Text eingebaut. Ansonsten aber folgen sie der Vorlage, Hans Weingartners Film «Die fetten Jahre sind vorbei«.
Gut gemachte Kino-Produktionen mit den begrenzten Mitteln des Theaters nachzuspielen, wirkt oft unbeholfen und zweitklassig. Der junge Regisseur Alexander May hat jedoch in Nürnberg eine überzeugende Form gefunden – gerade, weil er aus der Not eine Tugend machte. Der Malsaal, wo er spielen musste, ist lediglich ein großer Werkstattraum mit rudimentärer Bühnen-Ausstattung. Also arbeitete der Regisseur mit Video-Projektionen und bezog das Foyer ein. Es hat zwar den Charme eines Heizungskellers, eignet sich aber gut, die Ausgangssituation des Stücks herzustellen.
Jan (Thomas L. Dietz) und Peter (Constantin Lücke) brechen in Villen ein, um die Reichen in ihrer Saturiertheit zu verunsichern. Während Peter Urlaub macht, dringt Jan mit dessen Freundin Jule (Julia Bartolome) ins Haus jenes Mercedes-Fahrers ein, dem Jule 94500 Euro schuldet, weil sie das «Bonzenauto« mit ihrer nicht haftpflichtversicherten Rostlaube angefahren und beschädigt hat. In der Villa werden sie jedoch vom Hausherrn Justus Hardenberg überrascht und sehen sich gezwungen, ihn mit Hilfe des zurückgekehrten Peter zu entführen – in eine Almhütte in Tirol.
Hier entwickelt sich – neben einer Dreiecks-Liebesgeschichte – nun das eigentliche Drama zwischen Entführern und Entführtem, denn es stellt sich heraus, dass der Villenbesitzer (Michael Hochstrasser) ein Alt-68er ist, also einst auf der Seite des Klassenkampfes stand. Doch die Gesellschaft hat sich verändert – oder müssen noch immer die Armen gegen die Reichen, die Unterdrückten gegen die Mächtigen kämpfen?
Diese im Grunde ideologische und damit trockene Auseinandersetzung haben May und seine Darsteller packend personalisiert. Dabei beeindrucken sie nicht zuletzt mit ihrem schonungslosen Körpereinsatz: Insgesamt eine sehr sympathische, ungewöhnlich publikumsnahe Inszenierung.
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Theater Bielefeld
Die Glocke, 03.09.2007
»_Die fetten Jahre sind vorbei_ – der gleichnamige Film von Hans Weingartner lieferte das Konzept, nach dem Gunnar Dreßler eine effektvolle Bühnenfassung desselben, zwischen poesievoller Versponnenheit und handfestem politischem Realismus hat. Sie sorgte im Theater am Alten Markt für einen kurzweiligen Auftakt der Schauspielsaison.
Jens Zimmermann zeichnete auf der fast leeren Bühne (Bild: Jürgen Höth), auf der wenige Versatzelemente die Örtlichkeiten andeuteten, randscharfe Figuren. Er agierte mit lockerer Hand, die politische Gewichtung nicht allzu ernst nahm, der eingewobenen Liebesgeschichte um so breiteren Raum ließ. […]
Ein temperamentvoll agierendes Quartett spann die Fäden der Liebesgeschichte mit gleichem Talent, wie es der hilflosen Aktion der verhinderten Terroristen politisch angemessen Raum gab. Jan Andreesen, eher versponnener Träumer als handfester Agitator Peter, Ingo Tomi als Jan, der erfolgreiche Charmeur, und Monika Wegeners Jule als quicklebendig auftrumpfendes Objekt ihres Begehrens, verstanden sich im gleich gearteten Irrtum. Rainer Kühn gab als Hardenberg der abgeklärten Gelassenheit des Alt-68er überzeugendes Profil. Der Premierenabend fand begeisterte Zustimmung.«
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Staatstheater Mainz
Westfalenpost, 25.10. 2007
Wo sind all die Idealisten hin? Sie brechen in eure Häuser ein.
von Tim Meyer
Staatstheater Mainz zeigt im Apollo “Die fetten Jahre sind vorbei”
SIEGEN. (wp) Der Traum der Revolution ist ausgeträumt. Die 68er haben sich schlafen gelegt – im gemütlichen Bett des Kapitalismus. Sie sind revolutionsmüde. Und was macht die Generation Golf? Sie nennen sich Erziehungsberechtigte, steigen in Häuser ein und hinterlassen Chaos. Der Rest sind viele kluge Worte.
Das ist die Grundannahme des Stückes “Die fetten Jahre sind vorbei”. Was vor vier Jahren als Film von Hans Weingartner erfolgreich ins Kino gebracht wurde, adaptierte im letzten Jahr Helmut Köpping vom Staatstheater Mainz für die Bühne. Aber kann es funktionieren, einen Film ins Theater zu bringen? Es kann.
Die drei jungen Schauspieler stellen sich frontal zum Publikum und prügeln ihre Anklage unters Volk. “Stellen Sie sich vor, während Sie hier sitzen, bricht jemand bei Ihnen ein, pinkelt in die Shampooflasche und scheißt in die Badewanne.” Und warum das? Um Unordnung ins Leben der Geordneten zu bringen. Im Stakkato zählen sie die Leiden und Verbrechen der Welt auf, schaffen sich selbst eine Basis, von der aus nur noch die Revolution möglich ist. “Mercedes bedeutet Handel mit Atomwaffen und Antipersonenminen. Jeden Tag sterben 100 000 Menschen an Hunger.”
Aber am Ende stellen sie atemlos fest: “Das interessiert hier keinen.” Oder doch? Immerhin drei aus dem Publikum melden sich, als sie danach gefragt werden, ob sie gerade an eine Revolution denken.
Die drei jungen Revoluzzer, Jule, Peter und Jan, wollen aber nicht nur über eine Veränderung nachdenken, sie wollen sie leben. Peter und Jan steigen in Villen ein und stellen die Einrichtung um. Und immer hinterlassen sie mit der Unterschrift “Die Erziehungsberechtigten” eine Botschaft: “Die fetten Jahre sind vorbei.” Eines Nachts geht auch Jule (Tatjana Kästel) mit Jan (Florian Hänsel) auf Einbruchstour. In dieser Szene betreten die Schauspieler den Zuschauerraum, schieben ihre Fiktion immer ein Stück weiter in die Realität hinein.
In der Geschichte landen die beiden jedoch zufällig im Domizil des Managers Hardenberg, dem Jule nach einem Auffahrunfall 100 000 Euro schuldet. Und weil der Hausherr plötzlich auftaucht und Jule erkennt, rutschen sie und der herbeitelefonierte Peter (Tim Breyvogel) in eine Entführungsgeschichte ab. Jetzt haben sie ihren Schleyer. “Einen treffen, hundert erziehen”, schreit Peter. Das sich Hardenberg (Marcus Mislin) später selbst als Alt-68er outet, konfrontiert die Idealisten mit der bitteren Wahrheit: Irgendwann passt sich jeder an, weil die Rechnungen bezahlt werden müssen. Der Manager greift als Erklärung zum beliebten Churchill-Zitat: “Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 30 noch links ist, hat keinen Verstand.”
Immer wieder kommt auch musikalische Schützenhilfe aus dem Off. Peter Licht bedankt sich bei den 68ern und bittet sie, jetzt aber zu gehen. Und Rio Reiser fordert mal wieder “Keine Macht für niemand”. Auch wenn der Scherben-Song schon etwas abgenutzt ist, wirkt er im Stück als ein wichtiges Zeitdokument. Passender ist aber doch Peter Licht, der mit seiner fast gelangweilt vorgetragenen Bitte, den Zustand seiner Generation besser trifft. Kann die Revolution noch auf fruchtbaren Boden fallen?
p<>. Das Leben der Nachwuchsrevolutionäre versinkt langsam im Chaos. Auf der Bühne fliegen Zeitungen und Essenspackungen umher. Und was ist mit Hardenberg? In die Gesichter der drei schleichen sich Zweifel und Überforderung. Vielleicht spüren sie, dass die Realität die Ideen frisst. Am Ende versucht es Jan mit einen letzten Anlauf. Er denkt über eine Stadtguerilla nach und die Idee macht ihn fast wahnsinnig. An der Kasse warte eine Liste und die Leute aus dem Publikum sollen sich bitte eintragen. Aber es war ein Theaterstück und die Liste lag nicht da. Hätte sich jemand eingetragen?
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dpa, 17.09.2006
Begeisterter Applaus für «Die fetten Jahre sind vorbei»
von Helga Juli
Mainz. Mit begeistertem Applaus hat das Publikum im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters die Uraufführung des Stückes «Die fetten Jahre sind vorbei» gefeiert. Gunnar Dreßler hat die Bühnenversion des gleichnamigen Films des Österreichers Hans Weingartner aus dem Jahr 2004 geschaffen. Der Grazer Gastregisseur Helmut Köpping setzte das Stück erfolgreich in Szene.
Gunnar Dreßler hat die Bühnenversion des gleichnamigen Films des Österreichers Hans Weingartner aus dem Jahr 2004 geschaffen. Der Grazer Gastregisseur Helmut Köpping setzte das Stück erfolgreich in Szene. Die gesamte Geschichte um die drei Mittzwanziger, die mit Einbrüchen in Villen gegen das bürgerliche Establishment rebellieren, spielt in einem einzigen Bühnenbild: einer zerstörten Wohnung mit durchwühlten Kleiderschränken und zertrümmertem Mobiliar.
Auf Nebenstränge in der Handlung wird im Gegensatz zum Film verzichtet, um die Darstellung des Scheiterns dieser «68er des neuen Jahrtausends» ins Zentrum zu stellen. Die Protagonisten sind Jan und Peter, die aus der resignierenden Beliebigkeit ihrer Generation ausbrechen wollen.
Dass es ihnen dabei zwar nicht an Moral und Prinzipien mangelt, wohl aber an Planung und Entschlossenheit, machen die Monologe Jans (Florian Hänsels) klar, der für die sensible und humorvolle Darstellung des völlig vergeistigten Chaoten oft mit Szenenapplaus belohnt wurde. Mit energiegeladener Spielweise verkörpern Tatjana Kästel als Jule und Martin Bretschneider als Peter die beiden anderen «Revolutionäre», deren Wut sich nicht selten in lautem Geschrei und Kraftausdrücken äußert, bei denen auch das Publikum nicht ungeschoren davon kommt.
Alles geht so lange gut, bis sich Peters Freundin Jule in Jan verliebt und die beiden bei einem Einbruch vom Besitzer ertappt werden. Der Besitzer, der Alt-68er Hardenberg, ist schon längst von seinen einstigen Idealen abgekommen. Das Trio versucht ihn zu entführen. Im verbalen Schlagabtausch stellen sich zwar gemeinsame Werte heraus, doch Hardenbergs nostalgische Jugenderinnerungen werden von den drei Jungen ironisiert und kritisiert.
Am Schluss jedoch bleibt den Zuschauern der Eindruck, dass es auch den drei Möchtegern-Revoluzzern mit zunehmendem Alter nicht anders gehen wird als Hardenberg und sie letztlich an ihren eigenen Idealen scheitern werden.